Sitzung: 24.08.2011 Bau-, Feuerwehr-, Straßen-, Umwelt-, Landwirtschafts- und Landschaftsausschuss
Beschluss: Zur Kenntnis genommen.
Die Vorsitzende begrüßt Herrn Hinrichs vom
Fachdienst Straßenverkehr des Landkreises Friesland und erteilt ihm das Wort.
Herr Hinrichs erklärt einführend, dass er diesen Vortrag bereits in Zetel
gehalten habe, wo es aber zudem um die Behandlung einiger vorliegender Fälle
gegangen sei. Heute gehe es hingegen nur um die theoretische Behandlung. Er
führt sodann zu einigen statistischen Zahlen über die Verkehrssicherheit aus.
Laut Jahresunfallstatistik 2010 habe es 134 Unfälle in Verbindung mit
Radfahrern gegeben. Dieses sei der niedrigste Stand seit 10 Jahren gewesen. Er
erwähnt, dass auch bei den PKW-Unfällen und den Verletztenzahlen im Bereich
Friesland ein Rückgang zu verzeichnen sei. Bei den Personenschäden der
Radfahrer habe die Zahl der Schwerverletzten zugenommen, insbesondere bei der
Altersgruppe von 60 Jahre an aufwärts. Bezüglich der Unfallzahlen müsse man
sich mit den Unfallursachen auseinandersetzen. Ein Großteil der Unfälle in
Verbindung mit Radfahrern werde durch Fehler von PKW-Fahrern beim Abbiegen
verursacht, die die Radfahrer übersehen. Andere Ursachen sei das Fehlverhalten
von Radfahrern. Hier nennt Herr Hinrichs das Fahren auf der falschen
Richtung auf dem Radweg und Fehler beim Einfädeln in den fließenden Verkehr.
Künftig müsse man sich der Entwicklung im Bereich der E-Bikes/Pedelecs stellen,
da die Radfahrer dadurch immer schneller würden. Sodann trägt er anhand
der beigefügten Präsentation die Änderungen und deren rechtliche Grundlagen
vor.
Die Rechtsprechung habe zum Umdenken
beigetragen. Die Radwege sollen nicht gänzlich abgeschafft werden, sondern eine
Auswahlmöglichkeit gegeben werden. Statt einer Benutzungspflicht solle mehr vom
Benutzungsrecht Gebrauch gemacht werden. Dieses führe zwangsläufig zu einer
Reduzierung der benutzungspflichtigen Radverkehrsanlagen. Herr Hinrichs geht
kurz auf die rechtlichen Vorgaben ein und führt dann weiter aus, dass in der
Vergangenheit eine grundsätzliche Trennung der Verkehrsflächen der
verschiedenen Verkehrsteilnehmer im Vordergrund gestanden habe. Künftig sei
eine Prüfung der Erforderlichkeit in jedem Einzelfall erforderlich. Wenn ein
Radweg festgesetzt werden soll, müssen künftig ausreichende Flächen für die
Fußgänger vorhanden sein, ansonsten entfalle die Radwegbenutzungspflicht.
Das Bundesverwaltungsgericht habe Ende
2010 in einem Fall außerorts die Radwegbenutzungspflicht aufgehoben. Dieses
Urteil habe Auswirkungen auf das Tun der Straßenverkehrsbehörden und auch der
Straßenbaulastträger.
Hinter den Änderungen stünden lange
Diskussionen über sichere und komfortable Radfahrerführung zwischen
Verkehrsteilnehmern, Verbänden (ADFC), Planern und Behörden. Man erhoffe sich
von der Abkehr von der Trennung der Verkehrsarten Vorteile, z.B. dass dadurch
die Abbiegeunfälle vermieden werden, da die Radfahrer auf der Fahrbahn von
Autofahrern besser wahrgenommen werden. Radwege würden teilweise durch
Mülltonnen verstellt, und dieses durch die verschiedenen Tonnen (Graue, braune
und blaue Tonne) auch öfter. Außerdem dränge der schnelle Radfahrer auf die
Straße.
Die Auswirkungen dieser Änderungen führe
zu einer unterschiedlichen Behandlung von Radwegen außerhalb geschlossener
Ortschaften - wo ein Radweg wegen der höheren Geschwindigkeiten der KFZ eher
Sinn mache - und innerhalb geschlossener Ortschaften. Künftig sei der
Mischverkehr auf der Fahrbahn ohne Radweg die Regelform, zumindestens bei
KFZ-Stärken bis 400 KFZ/Stunde und Fahrbahnbreiten zwischen 6 und 7 m. Der
Landkreis Friesland sei der erste Landkreis im Bereich der ostfriesischen
Halbinsel, der sich intensiv mit dieser Thematik beschäftige. Künftig würden
die vorhandenen Radwege bei Verkehrsschauen unter diesem Aspekten beleuchtet.
Außerdem werde unabhängig davon die Analyse der jeweiligen Verkehrsunfälle mit
Beteiligung von Radfahrern vorgenommen und offensichtliche Missverhältnisse
frühzeitig bereinigt.
Herr Hinrichs nennt als möglich Änderungen die
grundsätzliche Aufhebung innerörtlicher Radwegbenutzungspflichten. Es solle
keine Fahrbahnbenutzungspflicht für Radfahrer geben, sondern dem
Radwegbenutzungsrecht der Vorrang gegeben werden.
Auch beim Neubau von Radwegen sei ein
Umdenken erforderlich. Hier sei vor jeder Ausweisung eines Fahrradweges zur
prüfen, ob die Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 StVO vorliegen. Wenn diese
vorliegen, seien die Regelungen der ERA 2010 zu beachten. Herr Hinrichs erklärt
die danach vorgesehenen Regeleinsatzbereich für die Wahl der Verkehrsführung.
Künftig sei bei den Neubau eines Einrichtungsradweges eine Breite von 2 m
vorzusehen. Wenn nicht genügend Platz für einen Radweg und einen Gehweg
vorhanden sei, werde aus einem Radweg ein Fußweg, für den die Gemeinde als
Straßenbaulastträger auch an Landes- und Kreisstraßen alleine zuständig sei.
In der Praxis müssen die Rechtsprechung
und die neuen Regelungen mit Leben erfüllt werden. In Zetel erfolge dieses
schon, da dort mehrere Bürgerbegehren anhängig seien. Im Rahmen der
Verkehrsschauen werde man diese Thematik auch in den Gemeinden für deren
Straßen betrachten. Für die Verkehrsführung der Landesstraße 813
(Wangerländische Straße/Schillerstraße/Elisabethufer/ Blaue Straße/
Bahnhofsstraße/ Schützenhofstraße/Hohewarf) könne er sich nicht
vorstellen, dass hier die Radfahrer die
Straße benutzen müssen.
Herr Harms fragt, ob die Regelung, dass
Kleinkinder auf dem Gehweg fahren dürfen bzw. müssen, in diesem Rahmen auch
geändert worden sei. Dieses verneint Herr Hinrichs.
Herr Harms erklärt, dass seines Erachtens der
Minikreisel in der Mühlenstraße auch für die Radfahrer ein Problem darstelle. Er
fragt, wie man dort zu einer zufriedenstellenden Regelung gelangen könne. Herr
Hinrichs weist darauf hin, dass die Stadt Jever Straßenbaulastträger der
Mühlenstraße sei und er daher keine Stellung nehmen könne. Herr Mühlena
antwortet, dass man allein von den Verkehrszahlen her den Radverkehr in der
Mühlenstraße nicht auf die Straßen verlagern werde. Herr Harms erkundigt
sich, ob hier nicht die neuen Regelungen angewendet werden müssten. Herr
Mühlena erwidert, dass der Radweg im Bestand vorhanden sei. Auf Nachfrage
von Herrn Harms erklärt er, dass aufgrund der Verkehrsbelastung
von 12.000 KFZ am Tag die Radwegbenutzungspflicht aufrecht erhalten werde. Hier
gebe es auch Rechtsprechung, wonach man an dieser Festsetzung auch festhalten
könne.
Herr Janßen gibt seiner Verwunderung darüber
Ausdruck, dass jahrelang propagiert worden sei, Radwege für die schwächeren
Verkehrsteilnehmer zu schaffen und dieses nun nicht mehr gelten solle.
Schließlich habe der Radwegebau viel Geld gekostet. Seines Erachtens führe die
nun angestrebte Mischnutzung zur Verwirrung und sei nicht vorteilhaft. Er
könne sich nicht vorstellen, dass es eine politische Mehrheit dafür geben
werde, die Radwegbenutzungspflicht an der Schützenhofstraße aufzuheben. Für ihn
sei die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer vorrangig, die er durch die neuen
Regelungen gefährdet sieht. Er vermute, dass es andere Gründe für die
neuen Regelungen gebe, nämlich dass das Land sich aus dem Radwegebau
zurückziehen wolle, um Geld zu sparen.
Herr Mühlena klärt darüber auf, dass die Gemeinde
hier keine Entscheidungsfreiheit besitze. Sie sei verpflichtet, die neuen
Regelungen umzusetzen und könne nicht über deren Anwendung beschließen. Es
müsse im Rahmen der Rechtsanwendung im Einzelnen entschieden werden, wo die
Anordnung eines Radweges notwendig ist und wo nicht. Als Beispiel für eine
Aufhebung nennt er den gemeinsamen Geh- und Radweg entlang der Schloßmauer an
der Albanistraße/Schloßstraße.
Frau Glaum bezeichnet die neue Entwicklung als
totalen Rückschritt und verleiht Ihrem Entsetzen darüber Ausdruck. Nur um Geld
zu sparen müsse man künftig als Radfahrer auf jeder Landesstraße fahren. Sie
sei enttäuscht und entsetzt.
Herr Hinrichs entgegnet, dass man überrascht sein
könne, aber nicht enttäuscht. Er verweist auf Untersuchungen und statistische
Zahlen, die schlüssig belegen, dass es in vielen Fällen möglich sei, die
Radfahrer auf der Straße zu führen. Man unterhalte sich hier über
Rechtsanwendung. Bei bestimmten Verkehrsstärken sähen die Regelwerke durchaus
die Radwegbenutzungspflicht vor. Für den Verlauf der L 813 könne man sich
vorstellen, dass die Radwegbenutzungspflicht aufrechterhalten werde.
Frau Glaum erklärt, dass unter diesen Umständen
künftig keine Radwege mehr gebaut würden. Herr Hinrichs erwidert, dass man beim
Radwegebau künftig darauf achten müsse, dass die neuen Breiten eingehalten
werden. Aufgrund der begrenzten Flächen innerorts werde es sicher problematisch
sein, Radwege zu bauen. Außerorts sei dieses einfacher, wobei es hier dazu
kommen könne, dass keine Radwegbenutzungspflicht sondern lediglich ein
Radwegbenutzungsrecht festgesetzt werde.
Herr Lüken befürchtet, dass, obwohl sich die
Unfälle durch die Führung der Radfahrer auf die Straßen verringern, die
Verletzungen aber schwerer sein werden. Ein Problem sieht er bei der
Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht an der Schützenhofstraße. Herr Hinrichs wiederholt, dass er
nicht davon ausgeht, dass die Radwegbenutzungspflicht dort gekippt werde.
Die Vorsitzende erkundigt sich nach dem Verfahren zur
Umsetzung der neuen Regelungen. Herr Mühlena führt dazu aus, dass die
Stadt nicht so viele Radweg habe. Es gebe die große Achse L 813, für die der
Landkreis zuständig sei und dann die Achse Mühlenstraße. Dieses seien Straßen
mit mehr 10.000 Kraftfahrzeugen pro Tag.
Für alle anderen Straßen sei eine Prüfung erforderlich. In den Wohngebieten
seien keine Radwege. Man werde alle Radwege auflisten, vorstellen und darüber
diskutieren.
Herr Sender zeigt sich erstaunt über diese
Entwicklung und hält diese für einen Rückschritt.
Herr Harms erklärt, dass es sicher nicht nur
Nachteile gebe. Durch die Fahrbahnbenutzung werde der KFZ-Verkehr gebremst. Da,
wo es einen Rad- und Gehweg gebe, gebe es auch Gefahren. Hier nennt er
als Beispiel den Bereich der BBS. In der Ziegelhofstraße sehe er die
Fahrbahnbenutzung als vernünftige Regelung an, da die KFZ dort nicht mehr so
rasen könnten. Der Verkehr werde dadurch gebremst und damit langsamer.
Herr Hinrichs erklärt abschließend, dass im
Straßenverkehrsrecht vieles im Fluss sei und berichtet über die angedachte
Novellierung der Straßenverkehrsordnung hinsichtlich einer Geschwindigkeitsbegrenzung
auf 15 km/h für Radfahrer.